Störende Störche im Südwesten - Wenn die Vögel zur Plage werden

06. Juli 2022 , 12:50 Uhr

Rheinmünster (dpa/lsw) – Keine 15 Meter liegen in Rheinmünster zwischen den Schlafzimmerfenstern und ihren gefiederten Nachbarn. „Die klappern auch nachts“, sagt Petra Lorenz über die Störche. „Da können wir die Fenster nicht kippen, sonst wird man aus dem Schlaf gerissen.“

Erstes Störchenpaar brütete vor zehn Jahren

1999 baute Mike Lorenz das Ökonomiegebäude seines Großvaters in Rheinmünster bei Baden-Baden zu einem Einfamilienhaus um. Vor etwas mehr als zehn Jahren brütete im Ortsteil Stollhofen das erste Storchenpaar. Eine Attraktion. Eine Webcam wurde am Horst installiert, um das Treiben im Nest beobachten zu können. Inzwischen leben in dem Ort mehr als ein Dutzend Brutpaare, fast alle in unmittelbarer Nähe von Familie Lorenz. Aus manchen Horsten gucken dieser Tage drei Jungtiere, machen erste Schlagbewegungen mit den Flügeln und gieren nach Nahrung, wenn ein Elterntier angeflogen kommt. „Das ist für uns eine echte Plage geworden“, sagt Mike Lorenz.

Neben Krach ist Dreck Problem

Neben dem Krach geht es vor allem um Dreck. Seit zwei Jahren haben Störche ihr Nest auf ein benachbartes Gebäude gebaut, genau an den Rand des Dachs. Verrichten sie ihr Geschäft, landet der Kot direkt im Garten der Lorenz‘, in den die Familie sichtbar viel Arbeit, Geld und Liebe gesteckt hat. Doch einen Teil der Terrasse samt Brunnen haben sie nun mit einer Plane abgedeckt. Sie ist vollgeschissen. „Das stinkt und ist giftig, das ätzt sich richtig in den Stein rein“, sagt Mike Lorenz. Das Auto sollte nicht in der Nähe der Nester geparkt werden. Vom Garten aus sieht man noch drei andere Horste. Schnell hinterlässt der Kot großflächig weiße Spuren auf den Dachziegeln. Ein Storchennest sei direkt an einem Schulweg, berichtet Petra Lorenz. „Da hat auch schon mal ein Kind was abgekriegt.“

Nicht schreckt die Vögel ab

Laute Musik, Grillen, Wasserpistolen – nichts schreckt die großen Vögel ab. Nur machen können die geplagten Anwohner wenig. Weißstörche sind in Deutschland streng geschützt. Weil sich die Bestände in den vergangenen Jahren positiv entwickelt haben, gelten sie laut Naturschutzbund Nabu nicht mehr als gefährdet und stehen aktuell auf der Vorwarnliste der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands. 1767 frei fliegende Weißstorch-Paare belegten nach Zahlen der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) im vergangenen Jahr Nester im Südwesten. 1644 davon brüteten. Verbreitet sind die Tiere vor allem entlang des Rheins sowie in Oberschwaben. Der Weißstorch bevorzugt insbesondere Flussniederungen mit Feuchtwiesen und Teichen sowie Grünland, das Landwirte vergleichsweise wenig beackern.

„Eine geschützte Art darf man nicht einfach vertreiben“

Dass der Bestand nicht immer so üppig war, machen deutschlandweite Zahlen der LUBW deutlich: Demnach wurden 1988 gerade noch 2949 Brutpaare gezählt, 1934 waren es auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik noch rund 9000. Dank intensiver Schutzbemühungen habe sich der Bestand wieder erholt: auf 6756 Brutpaare im Jahr 2017. Ab und zu beschwerten sich Anwohner, sagt die Weißstorchbeauftragte des Landes, Judith Opitz. „Ich habe vollstes Verständnis, dass niemand ein vollgekacktes Auto will.“ Wenn von angeblich gefährdeter Statik die Rede sei, werde allerdings gerne mal übertrieben. „Eine geschützte Art darf man nicht einfach vertreiben“, sagt sie. Beenden die Tiere das Brüten, weil sie gestört werden, sei das eine Straftat.

„Oft hilft schon das Gespräch“

Im Zweifel sollte man sich an das Landratsamt wenden, rät sie. Ihre Kollegen vor Ort suchten dann nach Lösungen. Als Abwehrmaßnahmen könnte man zum Beispiel sehr glatte Bleche anbringen, auf denen die Vögel kein Nest bauen können. Selten eskaliere der Ärger über die Störche, sagt Opitz. „Oft hilft schon das Gespräch.“ Eine Storchenbeauftragte sei immer wieder in Stollhofen, berichten die Lorenz‘. Sie spreche mit den Leuten, sage Hilfe zu. Ausrichten könne sie allerdings wenig, sagt Nachbar Oswald Bechtold.

„Dann trifft es gerade den nächsten Nachbar“

Was möglich ist: Wenn die Störche im Herbst in den Süden geflogen sind, darf man die Genehmigung einholen, den Horst auf dem eigenen Dach umzusiedeln. Dafür muss man einen anderen Brutplatz einrichten – in maximal 200 Meter Entfernung. „Dann trifft es gerade den nächsten Nachbar“, sagt Mike Lorenz. Auch die Kosten trägt man selbst. Oswald Bechtold hat das gemacht. Eine Fachfirma mit Hubarbeitsbühne und freiwillige Helfer waren im Einsatz. Mehrere Hundert Euro hat er investiert und einen Draht auf seinem First befestigt, auf dass die Störche nach der Rückkehr nicht wieder dort sesshaft würden.

Störche versuchen trotzdem Nest zu bauen

Doch sie versuchten trotzdem ein Nest zu bauen, erzählt Bechtold. Immer wieder fielen Äste links und rechts herab, blieben an Schneefanggittern hängen. Das Ende vom Lied: Die Störche bauten hier weiter. „Jetzt habe ich zwei Nester statt einem“, sagt er resigniert. Zweige fallen nun aufs Terrassendach, die Regenrinne ist verstopft. Am Affenberg in Salem am Bodensee lebt eine ganze Storchenkolonie. Durch die abgelegene Lage gebe es keine Probleme mit Anwohnern, sagt Parkleiter Roland Hilgartner. Für den Ärger hat er wenig Verständnis. „Da sieht man, wie weit weg wir von der Natur sind. Wie wenig bereit, Kompromisse einzugehen.“ Die Störche blieben nur ein paar Monate. „Alle sind für Naturschutz, nur bitte nicht vor der eigenen Haustür.“

Man müsse aufpasse, dass die Lage nicht kippt

Hilgartner treibt zudem die Sorge um, dass die Bruterfolge abnehmen könnten in den kommenden Jahren und die Storchenzahl wieder sinkt. Eine Einschätzung, die die Storchenbeauftragte Opitz teilt. Es werde immer mehr gebaut, Störche fänden weniger Brutmöglichkeiten und Nahrung. Momentan sei die Lage stabil. „Aber wer weiß, wie lange noch.“ Daher müsse man aufpassen, dass die Lage nicht wieder kippt.

„Jeder weiß, nächstes Jahr könnte es ihn treffen“

„Es kann doch nicht sein, dass der Naturschutz so sehr über die Lebensqualität der Menschen gestellt wird“, sagt Mike Lorenz. „Wir sind tierlieb, naturlieb“, beteuert er. Aber es sollte aus seiner Sicht möglich sein, dass der Staat beim Entfernen der Horste und dem Aufbau neuer Brutmöglichkeiten unterstützt und die Kosten übernimmt. Nachbarn und Bewohner anderer, bislang nicht betroffener Ortsteile betrachten die Storchenplage mit Argwohn, wie Lorenz sagt. „Denen ist angst und bange. Jeder weiß, nächstes Jahr könnte es ihn treffen.“

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