Schwarzwald: Flüchtiger aus Oppenau als Jugendlicher wegen Volksverhetzung verurteilt

16. Juli 2020 , 09:11 Uhr

Oppenau/Freudenstadt/Offenburg (pol/dpa/lk) – Mit Hubschraubern, Hunden, Spezialkräften und Hunderten Beamten sucht die Polizei nach einem 31-jährigen Mann in den Wäldern rund um die Schwarzwaldgemeinde Oppenau. Der Mann hatte am Sonntag vier Polizisten bei einer Kontrolle entwaffnet und war mit den Dienstwaffen ins Unterholz verschwunden. Außerdem trägt er Pfeil und Bogen, Messer und Pistolen bei sich. Er kennt sich in dem unwegsamen Gelände sehr gut aus, denn der wohnsitzlose Mann hatte bereits in den letzten Wochen immer wieder Zuflucht in den Wäldern gesucht. Bürger werden gebeten zu Hause zu bleiben und mit dem Auto keine Anhalter mitzunehmen, einzelne Straßensperren sind ebenfalls eingerichtet.

Als Jugendlicher unter anderem wegen Volksverhetzung verurteilt

Der gesuchte 31-Jährige von Oppenau im Schwarzwald ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft als Jugendlicher unter anderem wegen Volksverhetzung verurteilt worden. Er habe im Alter von 15 Jahren das Schild eines Jugendwerks durch Entfernen und Hinzufügen von Buchstaben so verändert, dass die Aufschrift die Worte «Juden weg» enthielt, teilte die Staatsanwaltschaft Offenburg am Donnerstag mit.

Außerdem sei während des Aufenthalts in dem Jugendwerk eine rechtsradikale Gesinnung zum Ausdruck gekommen, unter anderem durch Verwendung von Hakenkreuzen und SS-Symbolen sowie judenfeindliche Äußerungen. Die Jugendstrafe von acht Monaten mit Bewährung wurde nach einer Phase ohne weitere Vorkommnisse erlassen. Später habe es keine weiteren Ermittlungsverfahren wegen politisch motivierter Straftaten mehr gegeben. Die «Stuttgarter Nachrichten» hatten zuvor über die Verurteilung berichtet.

Polizei setzt auf Psychologen und Survival-Trainer

Die Polizei setzt bei ihrer Suche nach dem geflüchteten Mann auch auf die Hilfe von Überlebensexperten, Polizeipsychologen und ortskundigen Förstern. Insbesondere die Psychologen sollen sich in den 31-Jährigen hineinversetzen, um Anhaltspunkte zu seinem Verbleib zu bekommen, wie Polizeisprecher Yannik Hilger am Donnerstag sagte. Auch am Donnerstag beteiligten sich erneut zwischen 200 und 300 Kräfte an der Suche nach dem Mann

Über 270 Hinweise eingegangen

Mittlerweile gingen die Ermittler über 270 Hinweisen über potentielle Unterschlüpfe oder Sichtungen des Tatverdächtigen nach. So wurden bereits verschiedene Höhlen, alte Bunkeranlagen und verlassene Gebäude durchsucht. Örtlich betrachtet bündeln sich die Hinweise zwar rund um Oppenau, es gingen jedoch auch Mitteilungen über verdächtige Wahrnehmungen aus Regionen außerhalb des Renchtals ein. Aktuell wurde heute Morgen unter anderem in einer Behörde in Offenburg ein dem Gesuchten ähnlich aussehender Mann einer Kontrolle unterzogen. Von dem Tatverdächtigen fehlt bislang noch immer jede Spur.

Schuss löst sich versehentlich

Die Polizei hat am Donnerstagmorgen weiter mit einem Großaufgebot nach dem bewaffneten 31-Jährigen von Oppenau gesucht. Von dem Mann fehle nach viertägiger Suche jede Spur, teilte die Polizei am Morgen mit. Nach Informationen des Südwestrundfunks kam es am Abend zu einer Schussabgabe in Oppenau. Der Schuss löste sich beim Entladen aus der Waffe eines Polizisten, wie die Polizei bestätigte. Verletzt wurde dabei niemand. Die Ursache war wohl ein Bedienfehler.

Manifest offenbar nicht von Flüchtigem

Das gefundene Manifest stammt nach Einschätzung der Polizei aller Wahrscheinlichkeit nach nicht von dem gesuchten Mann. Es gebe derzeit viele Hinweise, dass der Text über die Kritik an der Technisierung des Lebens und das einfache Leben im Wald nicht von dem 31-Jährigen geschrieben worden sei. Das Schreiben sei zudem derzeit für die Ermittlungen ohne Bedeutung, sagte Sprecher Yannik Hilger am Donnerstag. Das sogenannte Waldläufer-Manifest stammt Recherchen des Südwestrundfunks zufolge nicht vom gesuchten Mann. Ein Mann aus Nordrhein-Westfalen soll es 2005 verfasst haben, wie er dem Sender bestätigte. Ein Bekannter, der das Schreiben gesehen habe, habe die Version bestätigt. Bereits am Mittwoch hatte die Polizei Bedenken bezüglich der Echtheit geäußert.

Polizei prüft mögliches Manifest

Die Polizei prüft ein mögliches Manifest des Mannes, der seit Sonntag auf der Flucht ist. Es sei aber nicht gesichert, dass der Text tatsächlich von dem 31-Jährigen stamme, sagte Polizeisprecher Yannik Hilger am Mittwoch. Es sei keine politische Richtung daraus abzuleiten, es handele sich um einen Hinweis unter vielen. Der Text bestätige in erster Linie die Affinität des Mannes zum Wald, sagte Hilger. Wahrscheinlich sei er aus anderen Quellen zusammengeschrieben worden. Zuvor hatten „Baden Online“ und die „Bild“-Zeitung über den Manifest Text berichtet, in dem es um Kritik an der Technisierung des Lebens und das einfache Leben im Wald geht. „Baden-Online“ hatte berichtet, der Text sei in einem Lokal in Oppenau hinterlegt worden.

Viele Maßnahmen im Hintergrund

Die Polizei setzte ihre Fahndung nach dem Flüchtigen auch am Mittwoch fort. Viele Maßnahmen liefen jetzt im Hintergrund ab, sagte Hilger. In Oppenau seien Präventionsteams der Polizei unterwegs, um die Menschen zu beraten. Die Beamten kontrollierten weiterhin das Gebiet, in dem sich der Mann aufhalten könnte. Insgesamt seien es etwa 200 Beamte, sagte eine Sprecherin. Auch Spezialkräfte seien im Einsatz.

Längere Suche nach Flüchtigem erwartet

Die Polizei geht von einer längeren Suche nach dem flüchtigen 31-Jährigen aus oppenau aus. „Wir werden nicht nachlassen“, sagte der Offenburger Polizeipräsident Reinhard Renter auf einer Pressekonferenz am Dienstag. „Wir haben einen langen Atem.“ Aktuell seien rund 200 Polizisten im Einsatz. Am Montag hätten bis zu 440 Beamte, darunter Spezialkräfte, das unwegsame und steile Waldgelände im Ortenaukreis umstellt und durchsucht sowie das Städtchen Oppenau gesichert. Inzwischen wurde ein Hinweistelefon eingerichtet. Beamte nehmen unter den Telefonnummern 0781 / 21-3333 und 0781 / 21-3334 Anrufe aus der Bevölkerung entgegen. Die Bürger können dort Hinweise zum Tatverdächtigen abgeben und die Polizei bei den Ermittlungen unterstützen.

Beamten haben „alles richtig gemacht“

Bei ihrem Einsatz gegen den bewaffneten Mann haben die Polizeibeamten nach Worten von Offenburgs Polizeipräsident Reinhard Renter „alles richtig gemacht“. „Das höchste Gut ist unser Leben“, sagte Renter. Der 31-Jährige bedrohte nach Angaben von Oberstaatsanwalt Herwig Schäfer einen der vier Beamten aus nächster Nähe mit einer scharfen Schusswaffe. Damit sei die Lage zumindest für einen Kollegen lebensbedrohlich gewesen. „Er hat die Waffe direkt auf mich gerichtet. Ich habe jederzeit damit gerechnet, dass er schießen könnte und ich in dieser Hütte sterben könnte“, zitierte Schäfer den Beamten. Nur durch das besonnene Verhalten der Polizisten habe es keine Verletzten gegeben. Polizeipräsident Renter zeigte sich verärgert über Kommentare in sozialen Netzwerken, in denen sich Nutzer über die Polizisten lustig gemacht hatten. „Ich verurteile das aufs Schärfste.“ Niemand könne sich in eine solche Situation hineinversetzen. „Die Beamten hatten Angst um ihr Leben“, so Oberstaatsanwalt Schäfer. 

Gesuchter gilt als „Waffennarr“ und „Waldläufer“

Der vorbestrafte Mann ist nach Worten von Oberstaatsanwalt Herwig Schäfer „als Waffennarr einzustufen“. Der Mann habe eine „große Affinität zu Waffen“, so Schäfer. Er sei aber nie in einem Schützenverein gewesen. Bereits 2010 sei es ihm untersagt worden, Waffen und Munition zu besitzen. Bei dem Gesuchten haben die Ermittlungsbehörden aber keinerlei Hinweise auf einen rechtsradikalen Hintergrund gefunden. Herwig Schäfer sagte: „Wir wissen nicht, was den Schuldigen bewogen hat, so zu handeln.“ Der 31-Jährige sei bereits in jungen Jahren strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er sehe sich als „Waldläufer“, der sich gut in der Natur auskenne und dort allein zurecht komme. Er habe im Herbst seine Wohnung in Oppenau verloren und sei seitdem ohne festen Wohnsitz. Einen Beruf habe er gelernt, sei aber zuletzt arbeitslos gewesen.

Großaufgebot auf der Suche

Das Polizeipräsidium Offenburg wird bei der Suche nach dem Mann von Kräften aus anderen Teilen Baden-Württembergs unterstützt. Auch eine Spezialeinheit, eine Hundestaffel und Hubschrauber beteiligten sich an der Suche. Mit Wärmebildkameras soll der Flüchtige im Wald aufgespürt werden. Immer wieder wurden einzelne Straßen gesperrt. Die Polizei forderte die Menschen in Oppenau auf, wenn möglich zu Hause zu bleiben. Die Deutsche Flugsicherung erließ ein Durchflugverbot. Es gelte im Radius von drei nautischen Meilen (gut 5,5 Kilometer) um die Stadt und auch für Drohnen, teilte die Polizei mit. Inzwischen sind jedoch weniger Polizisten im Einsatz, als noch am Vortag.

Ort will zur Normalität zurück

Währenddessen ist der Mann weiter auf der Flucht. Die Schulen und das Freibad in Oppenau haben aber wieder geöffnet, nachdem sie am Montag geschlossen waren. „Der Ort soll wieder zur Normalität zurückfinden“, sagte Bürgermeister Uwe Gaiser am Montagabend. Mit der Polizei ist ein Sicherheitskonzept abgestimmt worden. Eltern dürften aber selbst entscheiden, ob sie ihre Kinder in die Schule schicken wollen oder nicht.

Durchsuchungen bislang erfolglos

In der Nacht von Montag auf Dienstag hatten Beamte ein Objekt in Offenburg überprüft. Worum es sich dabei genau handelte, ist nicht bekannt. „Wir sind einem von vielen Hinweisen auf den Aufenthaltsort des Mannes nachgegangen“, erläuterte Yannik Hilger vom Polizeipräsidium Offenburg. „Leider haben wir ihn noch nicht gefunden.“ Auch ein ICE aus Berlin war laut Medienberichten am Montagabend in Freiburg kontrolliert worden – ebenfalls ohne Erfolg. Die Ermittler gehen davon aus, dass der gesuchte Bewaffnete sich immer noch in der Region um Oppenau aufhält. Die Suche gestalte sich aber schwierig, weil sich der 31-Jährige gut in der Gegend auskenne. „Der Wald ist schlicht sein Wohnzimmer“, sagte Polizeipräsident Renter.

Kontrolle gerät außer Kontrolle

Die Polizisten hatten den Mann am Sonntagmorgen in einer Hütte am Waldrand bei Oppenau-Friedberg kontrolliert. Zunächst habe er noch hinter einem Tisch in der Gartenhütte gesessen und einen entspannten Eindruck gemacht. In die Hütte sei er eingebrochen und habe sich dort häuslich eingerichtet. Nachdem die Beamten ihn aber aufforderten, die Hütte zu verlassen, habe der Mann plötzlich eine Schusswaffe gezogen. „Er war zu Beginn sehr kooperativ, was bedeutet, dass es für die Kollegen völlig unvorhersehbar war, dass er plötzlich eine Waffe zieht und alle vier in einen Lauf schauen mit gespanntem Bügel“, sagte Pressesprecher Yannik Hilger. Die Beamten mussten daraufhin ihre Pistolen auf den Boden legen. Anschließend flüchtete der 31-Jährige mit den Dienstwaffen in den Wald. „Die Beamten werden intern vernommen, da wird der Ablauf genau rekonstruiert, aber sie werden auch intern betreut.“

Gesuchter kennt das Gelände gut

Der Mann, der wahrscheinlich Tarnkleidung trägt, war den Ermittlungen zufolge mit Pfeil und Bogen, einem Messer und einer Pistole bewaffnet. Er soll sich bereits seit Wochen Unterschlupf im Wald gesucht haben. Die Polizei geht davon aus, dass er sich in den Wäldern rund um die Stadt sehr gut auskennt und sicher bewegt. Außerdem ist er in der Vergangenheit mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten, unter anderem wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Er ist etwa 1,70 Meter groß, schlank und Brillenträger. Er soll außerdem einen Kinnbart und eine Teilglatze tragen.

Flüchtiger gilt als gefährlich

Der Mann wird mit nationalem und europäischem Haftbefehl gesucht – wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung. 2010 war der Flüchtige zu einer Jugendstrafe von dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte im Jahr zuvor mit einer Sportarmbrust auf seine Ex-Freundin geschossen und diese schwer verletzt, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft in Pforzheim sagte.


Foto: Öffentlichkeitsfahndung/ Polizeipräsidium Offenburg
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