Region: 70-Prozent-Regelung - das steckt dahinter

18. Juli 2022 , 06:00 Uhr

Region (mt) – Vor allem wegen des Kriegs in der Ukraine wird Gas immer teurer und Alternativen wie Photovoltaikanlagen auf dem eigenen Dach immer attraktiver. Wenn wir uns dann eine eigene Solaranlage aufs Dach setzen wollen, kommen wir früher oder später unweigerlich mit der sogenannten „70-Prozent-Regelung“ in Kontakt. Das verbirgt sich dahinter.

Keinen Nachweis für Überlastung

„Bei der 70-Prozent-Regelung handelt es sich um eine Regelung, die 2012 für Photovoltaikanlagen eingeführt wurde. Also kleine Photovoltaikanlagen mit bis zu 25 Kilowatt, das sind so etwa 200 Quadratmeter“, erklärt Fritz Mielert, Umweltreferent mit dem Schwerpunkt Klima- und Energiepolitik. „Diese Regelung besagt, dass nicht mehr als 70 Prozent der maximal möglichen Einspeisungsleistung einer solchen Photovoltaikanlage ins Netz fließen dürfen. Das heißt, diese Anlagen werden abgeriegelt.“ Das gilt aber nur für die Einspeisung in das Energienetz. Im eigenen Haus kann der Strom weiterhin verwendet werden. Angeblich sollte die Regelung im Sommer das Netz entlasten. Wenn ganz viele Anlagen mittags ihre Leistungsspitze hätten, würde die Einspeisung des Stroms das Netz in Unruhe versetzten. Einen Nachweis, ob es tatsächlich zu einer Überlastung gekommen wäre, gäbe es nach Aussagen von Mielert aber nicht.

Regelung für Neuanlagen nur noch bis März

In den Augen des Umweltreferenten haben darüber hinaus aber auch politische Ziele hinter der Regelung gesteckt. „Ein weiterer Punkt war natürlich, dass man in den Jahren der Bundesregierung von Frau Merkel 2011/2012 auch geguckt hat, dass man die Photovoltaik ziemlich kaputt macht. Da war ein Punkt, bei dem man gucken konnte, dass man Photovoltaik weniger attraktiv gestaltet“, so Mielert. Sinnvoll sei die Regel aus Sicht des BUND inzwischen nicht mehr: „Weil wir mittlerweile ganz viele Anlagen haben, die auf Eigenverbrauch ausgelegt sind. Weil die Einspeisevergütung gar nicht mehr so hoch ist“, so der Umweltreferent. Trotzdem rechnet sich auf lange Sicht eine Photovoltaikanlage. „Der Eigenverbrauch lohnt sich. Ganz viele Anlagen haben auch angeschlossene Batteriespeicher, die dann auch in der Lage sind, solche Spitzen abzukupfern“, erklärt der Mielert. Schon bald ist die Regelung aber Geschichte. Der Bundesrat hat Anfang Juli ein neues Erneuerbare-Energien-Gesetz beschlossen. Mit dem läuft ab März auch für Neuanlagen die 70-Prozent-Regelung aus.

Nicht wirtschaftlich jeden Strom zu verwenden

Einen Verlust durch die 70-Prozent-Regelung gäbe es aber auch nur bei optimalen Bedingungen. Die haben die Photovoltaikanlagen, wenn sie nach Süden ausgerichtet sind, die bestmöglichen Temperaturen und auch sonst ideale Bedingungen haben. Pro Jahr können sie von ihrer Leistungsspitze einen Ertrag von 3 bis 6 Prozent verlieren. „Man hat früher immer gesagt, es ist günstiger, zu viel Strom zu produzieren und den wegzuschmeißen, als ihn zu speichern. Diese Philosophie ist jetzt durch den Preisverfall von Batterien nicht mehr ganz so zutreffend“, sagt Mielert. „Dass wir jeglichen Strom immer verwenden, ist wahrscheinlich auch nicht wirtschaftlich. Wenn zwei Prozent des Stroms nicht genutzt wird, dann lohnt sich das nicht mehr, das herauszukitzeln.“ Stattdessen bräuchten wir eher pragmatische Ansätze.

Größten Probleme im Bereich Wohnen, Wärme und Verkehr

Für den Umweltreferenten sei jetzt der Ausbau der erneuerbaren Energien, aber auch die Energieeinsparung wichtig. „Wir haben die größten Probleme im Bereich Wohnen, Wärme und Verkehr. Bei der Wärme geht es ganz stark darum, dass wir die alten Gastherme und Ölheizungen rausschmeißen und möglichst auch Wärmepumpen gehen. Und dann, wenn es vor Ort ein Wärmenetz gibt, uns daran anschließen.“ Bei den Wärmenetzen wird es in Baden-Württemberg 2023 voraussichtlich auch eine neue Entwicklung geben. Große Kommunen sollen bis Ende nächsten Jahres Pläne zu dem Thema vorlegen. Darüber hinaus müssten wir aber auch die Verkehrsleistung reduzieren. „Das, was wir jetzt über die Coronazeit eingeübt haben, mit Homeoffice und so was wird wahrscheinlich auch in Zukunft einen Beitrag bilden. Weil es einfach weniger Pendlerströme bedeutet. Und dann geht es natürlich darum, ganz stark den öffentlichen Nahverkehr und Fernverkehr noch mal auszubauen“, so Mielert.

Mangelhaft beim Verkehr und Wohnen

Die Bemühungen der aktuellen Bundesregierung rund um das Thema Energiewende würde der Umweltreferent mit einer Drei bewerten. „Es ist eine vertrackte Situation mit dem Ukrainekonflikt. Einerseits weil natürlich jetzt wieder Kohlekraftwerke anfangen zu laufen. Dann werden diese LNG-Terminals gebaut, um dreckiges Erdgas aus den USA anlanden zu können. Das ist ja keine gute Sache. Es ist jetzt zumindest in Teilen notwendig, um die den Konflikt mit Russland auszustehen“, analysiert Mielert. Im Bezug auf den erneuerbaren Ausbau gehe  Deutschland auf jeden Fall in die richtige Richtung. „Im Bereich Wohnen und Co und natürlich im Bereich Verkehr ist es absolut mangelhaft.“

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