Corona schädigt Psyche und Nerven - hier bekommen Familien Hilfe

15. April 2021 , 06:00 Uhr

Region (dpa/lk) – Existenzängste, soziale Isolation, Stress: Die Corona-Pandemie kann bei vielen Menschen psychische Störungen auslösen oder deutlich verschlimmern. Neben Depressionen und Angststörungen, akuten und posttraumatischen Belastungsstörungen können auch Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit, Zwangsstörungen und Psychosen zunehmen. Ältere zählen zu den am stärksten betroffenen Gruppen. Auch Kinder und Jugendliche sind psychisch besonders gefährdet – durch die Schließung von Kitas und Schulen und den Verlust von Kontakten zu Gleichaltrigen. Die eigene Verfassung betrachten viele Menschen inzwischen als fragil, Suchtgefährdungen steigen. Je jünger die Befragten, desto stärker ist diese Gefährdung.

Mehr als die Hälfte der Deutschen verspüren Angst

Das Coronavirus und die Folgen der Krise treffen nahezu jeden: Mehr als die Hälfte der Deutschen verspürt große Angst, ein Drittel etwa ist besorgt. Frauen sind davon deutlich häufiger betroffen als Männer. Aber auch ältere Menschen über 50 sowie Kinder und Jugendliche haben verstärkt mit mehr Ängsten zu kämpfen. Hilfe suchen die Deutschen vor allem in Gesprächen mit der Familie und mit Freunden. Viele versuchen außerdem, sich mit Sport und Musik oder einem Buch von den Sorgen abzulenken. Auch die Corona-Nachrichten einmal bewusst abzuschalten wirkt für einige wohltuend. Doch den gewohnten Alltag gibt es bereits seit über einem Jahr nicht mehr und die Frage nach dem „Wie lange noch?“ wird immer lauter.

Suchtverhalten wird in Krise noch verstärkt

Süchte verstärken sich in dieser sozialen Einsamkeit. Jeder achte Erwachsene greift öfter zu einem Glas Wein oder Bier, bei Jugendlichen trinkt jeder sechste mehr Alkohol. In der Pandemie zeichnet sich häufig eine gefährliche Verschiebung beim Trinken ab: Es wird weniger aus Geselligkeit konsumiert, sondern öfter allein, in Isolation zum vermeintlichen Stressabbau. Der Konsum koffeinhaltiger Getränke hat sich seit Krisenbeginn ebenfalls deutlich erhöht. Tendenziell wird mehr geraucht – vor allem bei jungen Leuten. Die Menschen verbringen in der Krise auch deutlich mehr Zeit vor dem Bildschirm: Corona-Kontaktbeschränkungen und Lockdown haben die Mediennutzung intensiviert. Besonders auffällig ist auch das bei den unter 30-Jährigen: In dieser Altersgruppe nutzen nahezu zwei Drittel Streaming-Dienste, Internet oder soziale Netzwerke seit Krisenbeginn häufiger. Sorge bereitet Experten außerdem eine für Juli geplante Änderung des Glücksspielstaatsvertrags, mit der die in Deutschland bisher weitgehend noch illegalen Online-Kasinos ermöglicht werden.

Mehr Schutz von der Politik gefordert

Deutschlands Psychotherapeuten fordern von der Politik daher einen stärkeren Schutz der Menschen vor psychischen Belastungen durch die Corona-Pandemie. „Neben Ängsten und Depressionen nehmen auch Anspannung und Aggression zu, oft zeigen sie sich, oft werden sie verdrängt“, sagte der Präsident der Psychotherapeutenkammer, Dietrich Munz. „Wenn nun aber der Lockdown trotzdem verlängert und verschärft werden muss, wäre es wichtig, dass nicht nur wirtschaftliche Entschädigung fließt“, so Munz. So müsse etwa Kindern und Jugendlichen, die mit Homeschooling schlecht zurechtkämen, gezielt geholfen werden. Es sollten zusätzliche Betreuungs- und Unterstützungsmöglichkeiten durch Schulpsychologen geschaffen werden. Gerade bei wärmeren Temperaturen wären verstärkt Angebote im Freien denkbar.

Mehr Kinder und Jugendliche in Therapie

Immer mehr sind inzwischen in psychotherapeutischer Behandlung. Wie die Barmer mitteilte, gingen bei ihr im Corona-Jahr 2020 insgesamt 6,3 Prozent mehr Anträge von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 24 Jahren ein als im Vorjahr – insgesamt 44.000. Berücksichtigt wurden neben Anträgen auf eine klassische Psychotherapie auch Anträge auf Akutbehandlungen, die auf eine kurzfristige Verbesserung der Symptomatik ausgerichtet sind. Der Trend der vergangenen Jahre setzt sich damit fort. Innerhalb von elf Jahren hat sich die Zahl junger Psychotherapie-Patienten bei der Barmer mehr als verdoppelt.

Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen

Depressionen, Ängste, geringer Appetit oder Heißhunger und familiäre Spannungen: Die wenigen Studien zu den Auswirkungen der Isolation von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Pandemie lassen wenig Gutes ahnen. Der Leiter der Tübinger Kinder- und Jugendpsychiatrie Tobias Renner sagt, dass psychische Störungen mit schwerem Verlauf seit dem vergangenen Sommer erheblich zugenommen hätten und mehr Aufmerksamkeit bräuchten. Besonders viele junge Menschen kämen mit akuter Magersucht (Anorexia) und Zwangsstörungen, sagt Renner. „Diese Krankheitsbilder sind jetzt deutlich komplexer und schwerer geworden“, erklärt Renner. Angst vor der Zukunft und Kontamination verbunden mit Waschzwang, Isolation und wenig Bewegung schlage aufs Gemüt. Durch die hohe Notfallquote könnten kaum noch Patienten in die stationäre Behandlung in Tübingen aufgenommen werden.

„Nummer gegen Kummer“ für Kinder und Jugendliche

Für Kinder und Teenager sind soziale Kontakte ganz besonders wichtig. Sie fördern die Entwicklung der Selbständigkeit, der Selbstsicherheit oder den Umgang mit den Mitmenschen. Eine offene Kommunikation über die eigenen Probleme kann oft Wunder bewirken. Doch nicht immer möchte man mit Problemen zu den eigenen Eltern gehen, Freunde sind während der Pandemie oft nicht mehr so greifbar wie früher. Damit Kinder und Jugendliche, die dadurch keine enge Vertrauensperson haben, trotzdem ihr Herz auszuschütten können, gibt es in ganz Baden-Württemberg 90 „Nummer gegen Kummer“-Anlaufstellen. Dort können sich Kinder jeden Alters ganz anonym unter der Telefonnummer 116 111 in ganz Europa kostenfrei melden. Rund um die Uhr stehen ihnen dort geschulte Berater zur Seite. Der Bedarf ist sehr groß und die Anruferzahlen sind während der Corona-Zeit deutlich gestiegen.

Hilfe gibt es auch beim „Elterntelefon“

Doch auch Eltern haben immer mehr das Bedürfnis, sich einen Rat zu holen. Denn auch sie stehen vor neuen Hürden, die sie meistern müssen. Aus diesem Grund wurde jetzt in Karlsruhe ein Elterntelefon eingerichtet, bei dem sich alle Eltern ebenfalls anonym unter der Telefonnummer 0800 1110 550 bundesweit und kostenlos melden können. Egal ob es Fragen sind, wie sie ihre Kinder weiter im Homeschooling motivieren können. Oder den Kindern erklären müssen, warum sie nicht mit all ihren Freunden spielen dürfen. Die Berater haben hilfreiche Tipps, die sie gerne weitergeben.

Damit diese ehrenamtliche Arbeit auch in Zukunft weitergeführt werden kann, werden immer neue Berater und Beraterinnen gesucht. Sollten Sie ein Händchen für Kinder, Jugendliche und Eltern haben, können Sie sich auf der Homepage nummergegenkummer.de melden und sich für eine Ausbildung beraten lassen.

Kinderschutz Podcast der Hänsel+Gretel Stiftung

Ganz aktuell ist gerade auch ein neuer Podcast der Deutsche Kinderschutzstiftung Hänsel+Gretel gestartet. Der Kinderschutz Podcast begrüßt die unterschiedlichsten Menschen aus Öffentlichkeit, Wissenschaft und Praxis, um den Kinderschutz in Deutschland aus allen Blickrichtungen zu beleuchten. Gastgeber des Podcasts sind Kathinka Beckmann von der Hochschule Koblenz, Regina Steil von der Goethe-Universität Frankfurt, Sonja Howard als Mitglied im Betroffenenrat des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und Jerome Braun, Geschäftsführer Deutsche Kinderschutzstiftung Hänsel+Gretel. Zweimal im Monat laufen die Sendungen und sollen Themen ansprechen, die sonst tabuisiert werden. Der Podcast soll außerdem wertvolle Informationen und Tipps für die Praxis beispielsweise für Lehrer*innen, für Erzieher*innen oder auch für Akteure auf politischer Ebene liefern. Den Kinderschutz Podcast finden Sie hier.

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