Warum Schwarzfahren eine Straftat bleiben sollte

16. November 2025 , 14:00 Uhr

Schwarzfahren – Ordnungswidrigkeit oder nicht?

Die Debatte um das „Erschleichen von Leistungen“ flammt regelmäßig auf – meist begleitet von der Forderung, Schwarzfahren zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Denn: Wer ohne gültigen Fahrschein im in Bus und Bahn unterwegs ist, begeht bislang eine Straftat – und riskiert eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.

Viele halten das für übertrieben. Die „Ampel“-Regierung wollte Schwarzfahren als Ordnungswidrigkeit einstufen, scheiterte aber mit der geplanten Reform. Doch ein genauerer Blick zeigt, dass es auch gute Gründe gibt, am Status der Straftat festzuhalten.

Weniger Verurteilungen

Die Strafverfolgungsstatistik der vergangenen Jahre belegt, dass das Problem zumindest im Südwesten keineswegs aus dem Ruder läuft. Die Zahl der Verurteilungen ist zuletzt spürbar gesunken – 2021 waren es 7.019 Fälle, 2022 sank die Zahl auf 5.126 und 2023 auf 4.100. Das ergibt eine Antwort des Justizministeriums auf eine Anfrage des fraktionslosen Abgeordneten Daniel Born. Der Grund für den Rückgang ist allerdings unklar. Inwieweit die Entwicklung etwa mit dem Deutschlandticket zusammenhängt, konnte das Ministerium nicht sagen. Neuere Zahlen gibt es noch nicht.

Freiheitsstrafen spielen dem Schreiben zufolge zudem in der Praxis nur eine sehr geringe Rolle, der Großteil der Fälle endet mit Geldstrafen. Im Jahr 2023 waren es etwa 60 Freiheitsstrafen im Vergleich zu 3.965 Geldstrafen. Gerichte verhängen Haft nur dann, wenn Geldstrafen dauerhaft nicht gezahlt werden.

Entlastung der Justiz?

Kritiker führen an, eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit würde die Justiz entlasten – das sieht das baden-württembergische Justizministerium anders. Zwar wären zunächst Verwaltungsbehörden zuständig, heißt es dort, doch jeder Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid würde die Fälle direkt zurück zu Staatsanwaltschaften und Gerichten spülen. Zudem habe man an Amtsgerichten für Ordnungswidrigkeitsverfahren weniger Bearbeitungszeit als für Strafbefehlsverfahren. Für Generalstaatsanwaltschaften und Oberlandesgerichte könnte es bei Rechtsbeschwerden sogar Mehrbelastung bedeuten.

Schließlich sei eine erhoffte Justizentlastung kein Argument für eine Entkriminalisierung, schrieb Ministerin Marion Gentges bereits 2022 in einem Meinungsbeitrag: „Dieser Ansatz ebnet den Weg für eine Justiz, die nicht mehr fragt, was rechtlich geboten ist, sondern sich danach richtet, was wir uns vermeintlich leisten können.“

Haft wird nicht zwangsläufig vermieden

Von Anfang 2021 bis September 2025 saßen laut Justizministerium 1.218 Personen in Baden-Württemberg ausschließlich wegen Schwarzfahrens hinter Gittern, so das Justizministerium. Das kostet Geld: Die Haftkosten in Baden-Württemberg liegen bei rund 200 Euro pro Tag. Niemand dürfe wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis kommen, argumentieren die Befürworter einer Entkriminalisierung. Bestraft würden häufig arme oder obdachlose Menschen treffe, die sich Tickets nicht leisten könnten, kritisiert etwa die Linke.

Aber: Auch wegen unbezahlter Bußgelder kann man hinter Gittern landen. Die Erzwingungshaft aber, die an die Stelle der Ersatzfreiheitsstrafe treten würde, hebt das Bußgeld nicht auf – Betroffene müssten also trotz Haft weiterzahlen. Das Regime von Bußgeld und Erzwingungshaft ist sogar unflexibler als das Strafrecht, so das Ministerium: Geldstrafen könnten in gemeinnützige Arbeit umgerechnet werden, Bußgelder aber könnten nicht abgearbeitet werden. Es gebe zudem keine erzieherischen Elemente wie im Jugendstrafrecht oder die Möglichkeit von Einstellungen unter Auflagen.

Es existierten zudem bereits wirksame Programme, um Ersatzfreiheitsstrafen zu vermeiden, führt das Ministerium an. Projekte wie «Schwitzen statt Sitzen» oder persönliche Beratung zur Zahlungsfähigkeit würden helfen, Haft zu verhindern und Geldstrafen bezahlbar zu machen. Diese Maßnahmen hätten sich in Baden-Württemberg bewährt – und wären im Ordnungswidrigkeitenrecht kaum oder gar nicht umsetzbar.

Öffentlicher Schaden

Beim Kampf gegen das Schwarzfahren geht es auch um den Schutz eines öffentlichen Guts. Schwarzfahren sei kein Kavaliersdelikt, so die Haltung von Ministerin Gentges, sondern belaste den ohnehin unter Druck stehenden Nah- und Fernverkehr finanziell.

Die Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit würden den Kommunen den Schwarzen Peter zuschieben. Denn die Einnahmeverluste gehen in die Millionen. Und zudem müssten die Bußgeldstellen die Verfahren führen. Verkehrsbetriebe und Landkreistag hatte in der Vergangenheit betont, dass sie bei einem Anzeigenverzicht von einer steigenden Schwarzfahrerquote ausgingen. Fehlende Einnahmen müssten dann von der Allgemeinheit bezahlt werden – über höhere Ticketpreise oder über den städtischen Haushalt.

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