(Partner) – Wenn sich zwei junge Musiker aus Wien anschicken, Deutschland beim Eurovision Song Contest zu vertreten, während Stefan Raab im Hintergrund mitmischt, erinnert das zunächst an ein Wiederaufleben der frühen 2000er. Doch hinter dem Auftritt von Abor & Tynna verbirgt sich keine inszenierte Rückkehr zur Raab-Ära, sondern eine eigenständige Geschichte zweier Künstler, die mit klarem künstlerischen Anspruch und einer guten Portion Haltung auf die Bühne treten.
Der Weg zum ESC führte diesmal nicht über ein Castingformat, sondern nahm seinen Anfang in einem viralen Instagram-Clip und dem Klang eines rebellischen Cellos. Dass sich daraus eine ernsthafte Kandidatur für den ESC entwickeln würde, hatte anfangs vermutlich niemand auf dem Zettel, nicht einmal das Duo selbst.
Die Euphorie ist groß und auch der Glücksspiel-Anbieter Lapalingo feiert den Anlass, wenn das ganze Land bei ESC gebannt vor den Bildschirmen mitfiebert. Die Hoffnung auf einen Gewinn im Glücksspiel und die Hoffnung auf eine gute Platzierung beim ESC wiesen zuletzt erstaunliche Parallelen auf. Wie könnte es in diesem Jahr sein?
Abor & Tynna klingt nach Showbusiness, bezeichnet jedoch schlicht das Geschwisterpaar Attila und Tünde Bornemisza. Beide stammen aus einem musikalisch geprägten Elternhaus in Wien, der Vater ist Cellist bei den Wiener Philharmonikern. In dieser Umgebung blieb es nicht aus, dass auch die Kinder früh an Instrumente herangeführt wurden. Attila entschied sich für das Cello, Tünde für die Querflöte.
Aus dem Weg in die klassische Musik entwickelte sich mit der Zeit ein eigenwilliger Sound, der längst nicht mehr den Konventionen folgt, die man ursprünglich mit ihrem Hintergrund verbinden würde. Dass sie trotzdem nie vollständig mit dieser Vergangenheit brechen, sondern sie als Fundament ihrer heutigen Arbeit betrachten, verleiht ihrem Projekt eine unerwartete Tiefe.
Seit dem Jahr 2016 arbeiten die beiden an eigenen Musikprojekten, experimentieren mit Stilen und entwerfen eine musikalische Handschrift, die elektronische Elemente, Hip-Hop-Einflüsse und einen Hauch Balkan-Rhythmus in sich trägt. Der Humor ist stets dabei, allerdings ohne sich über die Musik selbst lustig zu machen. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass hier zwei Menschen arbeiten, die ihre Emotionalität ernst nehmen und zugleich den Abstand bewahren, um das Spiel mit Erwartungen gekonnt zu inszenieren. In einer Szene, in der oft zwischen Ironie und Pathos kein Platz für Zwischentöne bleibt, ist das fast schon ein Alleinstellungsmerkmal.
Die Aufmerksamkeit von Stefan Raab kam nicht über Branchenkontakte oder Labelnetzwerke zustande, sondern wurde durch einen Instagram-Clip ausgelöst. In dem kurzen Video präsentierten Abor & Tynna eine rohe Version ihres Songs „Baller“ und der ist minimalistisch inszeniert, mit einem fast unbewegten Gesichtsausdruck, einem stoischen Beat und einem Cello, das bereits da eine eigene Rolle spielte.
Raab sah das Video, war sofort fasziniert und schlug den beiden vor, beim deutschen Vorentscheid „Chefsache ESC 2025“ mitzumachen. Es gibt keinen Vertrag und kein Studio, nur die Einladung, ihr Ding auf einer größeren Bühne zu zeigen. Dass ausgerechnet Raab, der sonst auf kontrollierte Prozesse setzt, hier auf spontane Begeisterung setzte, spricht für die Wirkungskraft des Clips.
Einen Vorschlag machte Raab dann doch. Attila solle das Cello während des Auftritts zertrümmern. Der Gedanke wirkte zunächst wie ein Rückgriff auf alte Rockgesten, entpuppte sich aber als symbolische Idee, die den Bruch mit der klassischen Herkunft visuell auf den Punkt brachte. Das Duo überlegte kurz, erkannte jedoch schnell die künstlerische Aussage hinter dem Bild und entschloss sich dazu, diesen Vorschlag aufzugreifen. Gerade weil sie das Klischee so offensiv spielten, entlarvten sie es auch und verliehen ihrem Auftritt damit einen doppelten Boden.
Was musikalisch folgte, blieb fest in den Händen von Abor & Tynna. Der Song „Baller“ wurde inhaltlich wie klanglich nicht verändert, sondern in genau der Form auf die Bühne gebracht, wie sie ihn entwickelt hatten. Die Figur im Songtext wirkt wie eine Mischung aus selbstverliebtem Influencer und tragischem Helden, getrieben von Selbstinszenierung und einer inneren Leere, die trotz Lautstärke nicht verschwindet. Der Sound bleibt kühl, der Text spitz, es ist kein Wohlfühltrack, keine durchchoreografierte Show, sondern ein Statement. Es ist Musik, die nicht versucht zu gefallen, sondern die aushalten will, dass nicht jeder sofort mitgeht.
Im Vorentscheid setzte sich das Duo überraschend gegen zwei als Favoriten gehandelte Acts durch und mit fast 35 Prozent der Stimmen erreichten sie Platz eins. Das Ergebnis rief Begeisterung hervor, löste aber auch Debatten aus. Die Frage, ob Raab seine Finger zu tief im Spiel hatte, stand plötzlich im Raum. Einige warfen ihm vor, Einfluss auf das Abstimmungsergebnis genommen zu haben.
Beweise gab es keine. Stattdessen betonte das Duo in mehreren Interviews, dass es ausschließlich mit dem eigenen Beitrag überzeugen wollte. Dass ausgerechnet ein so untypischer ESC-Song die Massen mobilisieren konnte, zeigt, dass im Pop eben doch noch Platz für Überraschungen ist.
In der Folge ging es an die Vorbereitung. Eine Berliner Bühnenbildnerin, die bereits an der Volksbühne gearbeitet hatte, wurde ins Boot geholt. Gemeinsam entwickelte man eine Inszenierung, die eher an ein Theaterstück erinnerte als an die oft grell-bunte Welt des ESC. Das Cello blieb dabei zentrales Requisit, diesmal noch stärker als symbolisches Objekt zwischen Tradition und Aufbruch gedacht. Selbst die Lichtregie wurde auf die Millisekunde genau geplant und das ist ein Detail, das zeigt, wie ernsthaft das Duo die visuelle Erzählung nimmt.
Ein Rückschlag ließ nicht lange auf sich warten. Ein Auftritt in London wurde kurzfristig gestrichen, da Tünde unter Stimmproblemen litt. Die Behandlung erfolgte in Wien, begleitet von täglichem Training und einem vorübergehenden Rückzug aus der Öffentlichkeit. Interviews wurden abgesagt, Social-Media-Aktivitäten reduziert. Stattdessen konzentrierten sich Abor & Tynna auf die künstlerische Ausarbeitung ihres Beitrags ohne Effekthascherei, ohne übertriebene Posen, aber mit viel Fokus auf Eigenständigkeit und Tiefe. Gerade in dieser Stille formte sich der Auftritt zu dem, was er werden sollte, und zwar kein Spektakel, sondern eine Botschaft.
Abor & Tynna stellen sich dem wichtigsten der europäischen, musikalischen Events mit einem Konzept, das auf künstlerische Aussage und Eigenständigkeit setzt. Ihr Beitrag steht bewusst quer zur Erwartung, ist weder auf Massengeschmack getrimmt noch auf Provokation um jeden Preis angelegt. Raabs Rolle wirkt wie ein Rückenwind aus vergangenen Erfolgen. Das Steuer in der Hand behalten die beiden selbst und gerade das macht den Auftritt so bemerkenswert, denn hier steht niemand im Schatten eines großen Namens, sondern auf einer Bühne, die man sich