Nicht wegschmeißen! Omas Fotoalben haben wissenschaftlichen Wert

08. März 2025 , 12:51 Uhr
Schwarz-weiß, leicht verblichen, mit Büttenrand: Unzählige alte Fotos in Alben schlummern in Schränken und auf Speichern. Eine Historikerin vom KIT sagt, nicht wegschmeißen! «Dabei sind es kleine Schätze.»

Fundus an Geschichte(n)

Alte Fotoalben seien kuratierte Familiengeschichte, sagt die Doktorandin. «Jemand hat sich Gedanken gemacht, warum genau diese Motive fotografiert wurden, warum genau diese Fotos für das Album ausgewählt wurden, und warum sie in dieser Zusammenstellung eingeklebt wurden.»

Digitalfotografie stoppt analogen Trend nicht

Dass das trotz Digitalisierung nicht aus der Mode kommt, belegen zum Beispiel rund 30 Millionen Fotobücher, die das Unternehmen Cewe allein in den vergangenen fünf Jahren verkauft hat. Reisen sind laut einem Sprecher der Hauptanlass. Jahr- und Hochzeitsbücher sowie neuer Nachwuchs spielten ebenso eine wichtige Rolle.

Nach wie vor werden auch Bildabzüge erstellt, wie Alexander Strehlau von der Drogeriemarktkette dm berichtet. Während der Corona-Pandemie sei die Nachfrage durch ausgefallene Urlaube, Feste und Ausflüge zurückgegangen. «Seit zwei Jahren hat sich die Situation bei dm jedoch deutlich entspannt.»

Dass ausgedruckte Fotos und Alben im immer digitaler werdenden Alltag weiterhin einen Platz haben, stellt auch der Fotoalben-Hersteller Hama fest. «Wer sich dafür entscheidet, will nicht einfach nur Bilddaten speichern, sondern Erinnerungen greif- und sichtbar machen.» Oft würden sogenannte Art Journals daraus, also künstlerisch gestaltete Tagebücher, häufig in Spiralalben.

Fotos geben intime Einblicke

Lange war die Wissenschaft laut Merkel zögerlich, weil es sehr persönliche Momentaufnahmen sind, die ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren. Es gebe viel Spielraum für Interpretationen und Spekulationen. «Das erscheint erstmal als Gegenteil von objektiv und wissenschaftlich», sagt sie. Manche Einblicke ins Familienleben, in ihr Beisammensein, in ihr Zuhause seien sehr intim. «Man stößt ins Private rein.»

Doch es seien zeitgenössische Werke, von einem Autor, einer Autorin erstellt. Sie ergänzten den Blick auf die Vergangenheit wie Tagebücher und zeigen Interaktion mit Zeitgeschichte. Und zwar aus der Perspektive einfacher Leute und nicht nur beispielsweise aus dem Leben von Staatsoberhäuptern.

Mit Beginn der Fotografie im 19. Jahrhundert hätten sich nur wohlhabende Familien Fotografen leisten können. «Fotoalben wurden zum Beispiel bei Besuchen vorgelegt», erläutert Merkel. Es ging um Repräsentation. Je erschwinglicher Fotos wurden, desto mehr wurden sie ein Massenphänomen.

Gerade in Deutschland ist ein Thema präsent

Manche Motive finden sich immer wieder: Taufe, Kommunion, Konfirmation, Weihnachten, Hochzeit. Darunter mischten sich individuelle Eindrücke, sagt Merkel. Gerade in Deutschland spiele der Zweite Weltkrieg eine wichtige Rolle.

In Alben ihrer Großmutter sei diese in der Kleidung des Bunds Deutscher Mädel (BDM) zu sehen, ihr Großonkel ganz selbstverständlich mit Kameraden bei der Wehrmacht, berichtet Merkel. Darüber habe sie viel mit ihrer Oma gesprochen. «Da geht es um ganz Persönliches, warum sie gerne zum BDM-Dienst gegangen ist. Das gibt aber auch Antworten auf große Fragen, wie das System funktioniert hat.»

Überhaupt empfiehlt Merkel, so viel wie möglich über alte Fotos in Erfahrung zu bringen. Am besten gelinge das durch Gespräche mit Zeitzeugen. Manchmal seien Datum und Ort auf der Rückseite vermerkt. «Was man herausfindet, sollte man notieren», sagt sie Wissenschaftlerin. «Sonst geht das Wissen verloren.»

Heute liegt Augenmerk auf persönlicher Note

Bei Cewe bestellen den Angaben nach eher Frauen Fotobücher, vorrangig im Alter von 30 bis 59 Jahren. Das Angebot zum Selbstgestalten in verschiedenen Designs gibt es dort seit 20 Jahren. «Unsere Fotoprodukte begleiten viele Familien und finden sich in zahlreichen Haushalten wieder, oft von Generation zu Generation weitergegeben», sagt Vorstandsmitglied Thomas Mehls.

Spezielle Themenalben sind laut Hama eher auf dem Rückzug, neutral gehaltene Designs werden bevorzugt. Einsteckalben für das gängige Format 10 mal 15 Zentimeter seien als schnelle Lösung sehr beliebt. Auch «Memo-Alben» stünden im Ranking weit oben. Sie kombinierten diese unkomplizierte Archivierungsform mit zusätzlichem Platz zum Beschriften und Kommentieren.

Einen Wandel in den Kundenpräferenzen hat dm festgestellt, wie Strehlau berichtet: «Während der Umsatzanteil von Bildausdrucken im Vergleich zu vor fünf Jahren leicht zurückging, gewinnen personalisierte Fotogeschenke wie Fotobücher und Fotokalender zunehmend an Bedeutung.»

«Wegschmeißen ist keine Option!»

Die Masse an Fotos habe sich durch Digitalfotografie und Handykameras potenziert, sagt Merkel. Das mache die Archivierung schwieriger. Digitale Speichermedien hätten eine geringere Halbwertszeit, verschiedene Dateiformate könnten irgendwann nicht mehr gelesen werden.

«Es fehlen schon bei den alten Alben Zeit und Ressourcen, sie zu archivieren», sagt sie. Zudem gebe es kein einheitliches System dafür.

Dennoch rät die Forscherin, Fotoalben aus Omas Nachlass nicht zu entsorgen. «Wegschmeißen ist keine Option! Das ist ein riesiger Fundus an Familiengeschichte.» Es sei schade, wenn der in Müllcontainern lande.

Stattdessen könne man Stadtarchive fragen, ob sie solche Dokumente der Zeitgeschichte aufbewahren, sagt Merkel. «Dann liegen sie vielleicht auch erstmal nur in einer Kiste, aber gehen nicht verloren.» Und irgendwann brauche sie ein Museum für eine Ausstellung oder eine Studentin für ihre Forschung.

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