Stuttgart (dpa/lk) – Die Corona-Infektionszahlen wollen einfach nicht sinken, ganz im Gegenteil. Ministerpräsident Kretschmann stellt nun das Mittel in Aussicht, dass die Regierung eigentlich unbedingt vermeiden wollte: das komplette Stilllegen des öffentlichen Lebens.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann pocht angesichts steigender Corona-Infektionszahlen auf drastische Einschränkungen des öffentlichen Lebens. So könne man nicht weitermachen, sagte er am Dienstag bei einer Kabinettssitzung in Stuttgart. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen. „Ein scharfer Lockdown nach den Weihnachtstagen rückt näher“, sagte Kretschmann Teilnehmern zufolge. Die Lage in Baden-Württemberg sei höchst gefährlich. Er stimme Überlegungen des Bundes zu, härtere Maßnahmen zu ergreifen.
Kretschmann hat drastische Maßnahmen für Regionen mit extrem ausufernden Corona-Infektionszahlen angekündigt. Man werde noch diese Woche für Regionen mit mehr als 300 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen drastische Maßnahmen beschließen müssen. Er hoffe, dass die Maßnahmen für die extremen Hotspots Anfang nächster Woche in Kraft treten könne. Bislang sei nur Pforzheim davon betroffen. Die bisherige Hotspot-Strategie des Landes zielt ab auf Regionen mit mehr als 200 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Diese Regeln beinhalten etwa schärfere Kontaktregeln und nächtliche Ausgangsbeschränkungen. An Schulen in betroffenen Stadt- und Landkreisen kann es Wechsel- und Fernunterricht in älteren Jahrgangsstufen geben.
Dass Baden-Württemberg einen harten Lockdown für die Zeit nach den Weihnachtstagen im Alleingang beschließt, gilt als unwahrscheinlich. Wegen der anhaltend hohen Corona-Infektionszahlen mehren sich aber bundesweit die Forderungen, das öffentliche Leben deutlich stärker als bisher einzuschränken. Auch Ladenschließungen nach Weihnachten sind im Gespräch. Ob sich Bundesregierung und Ministerpräsidenten vor Weihnachten noch einmal zusammensetzen, ist unklar. Nicht alle Länder-Regierungschefs halten das für notwendig. Kretschmann plädierte am Dienstag erneut dafür, dass Bund und Länder noch vor Weihnachten zusammenkommen. Der bislang geplante 4. Januar sei zu spät, sagte er.
Kanzlerin Angela Merkel hatte am Montag gesagt, man werde den Winter nicht ohne zusätzliche Maßnahmen durchstehen können. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hält schärfere Kontaktbeschränkungen für notwendig, sollten die hohen Infektionszahlen nicht zeitnah zurückgehen. Und auch Kultusministerin Susanne Eisenmann drängt auf einen harten Lockdown nach den Feiertagen. „Wenn die schweren und tödlichen Infektionsverläufe sich so fortsetzen, scheint ein harter Lockdown unausweichlich“, sagte sie. „In der Zeit vom 27. Dezember bis 10. Januar ergäbe ein radikales Herunterfahren des öffentlichen Lebens mit schärferen Kontaktbeschränkungen absolut Sinn, weil Schulen und Kitas ohnehin geschlossen sind und viele Menschen Urlaub genommen haben.“ Die Entscheidung über einen harten Lockdown müsse nun zügig getroffen werden. Außerdem müsse man sich dringend Gedanken machen, wie es eigentlich im Januar, Februar und März weitergehe. Eisenmann warnte aber davor, sich in den Tagen bis nach Weihnachten noch einmal auszutoben und mit vielen Freunden wild zu feiern.
Nach fünf Wochen Teil-Lockdown ist weder im Land noch im Bund ein Absinken der Zahl der Neuinfektionen in Sicht ist. Vom Ziel, die Zahl unter den Wert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern über sieben Tage zu drücken, ist Baden-Württemberg wie andere Länder weit entfernt. Landesweit lag die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz zuletzt bei 152,1. Alle 44 Stadt- und Landkreise liegen über dem Grenzwert von 50, ab dem ein Kreis als Risikogebiet gilt. Acht davon überschreiten derzeit die kritische 200er-Marke pro 100.000 Einwohnern – darunter die Städte Pforzheim, Mannheim, Heilbronn sowie die Landkreise Calw, Tuttlingen, Heilbronn, Lörrach und der Enzkreis. An manchen der betroffenen Orte gelten schon strengere Regeln wie nächtliche Ausgangssperren – oder sie sind im Gespräch.