Fachkräftemangel in der Region: Arbeiterlos statt arbeitslos

08. November 2022 , 04:00 Uhr

Region (la) – Der Fachkräftemangel schreitet weiter voran. Derzeit fehlen in 148 Berufen ausgebildete Arbeitnehmer. Neueste Zahlen der Bundesregierung prognostizieren, dass im Jahr 2026 240.000 Fachkräfte fehlen werden. Das Gesundheitswesen, das Handwerk und die MINT-Branche klagen schon heute über eklatante Mängel. Statt dem sich steigernden Trend weiter zuzuschauen, ergreifen Unternehmen aus der Region jetzt die Initiative. Facettenreiche Programme sollen Fachkräfte anwerben.

Willkommen im Jahr 2026

Eigentlich sollte Philipp um diese Uhrzeit im Büro sitzen und ein wichtiges Meeting leiten. Genau in diesem Moment. Aber das geht heute nicht. Er muss auf die Kleine aufpassen, denn die Betreuerin ihrer Kindergartengruppe ist krank. Ersatz gibt es keinen. Im Kindergarten ist personell ohnehin alles auf Kante gestrickt. Zu allem Übel muss auch noch der große Bruder in die Schule gefahren werden. Früher konnte er die Bahn nehmen, das geht jetzt nicht mehr. Es fehlt an Bahnfahrern, infolgedessen wurden die Verbindungen reduziert. Die S4 zur Schule fährt nur noch alle drei Stunden. Herzlich Willkommen in Deutschland im Jahr 2026. Herzlich Willkommen im Zeitalter des Fachkräftemangels.

So weit muss es nicht kommen.

„Für rund 148 Berufsgattungen liegen Engpässe vor“

Die umrissene Dystopie spielt das Szenario weiter, das sich schon jetzt in einigen Branchen bemerkbar macht: Es mangelt an Fachkräften. Tut es das auf lange Sicht, so sprechen wir vom „Fachkräftemangel“. Unter Fachkräften verstehen wir dabei alle, die eine anerkannte akademische Ausbildung oder eine anerkannte Berufsausbildung durchlaufen haben. Der in Deutschland auftretende Fachkräftemangel betrifft rund 148 Berufsgruppen. Das zeigt eine Engpassanalyse der Bundesregierung. Vor allem das Handwerk, das Gesundheitswesen und MINT-Berufe sehen sich konfrontiert. In manchen Ländern tangiert der Mangel sogar oder bereits die gesamte Wirtschaft.

In vier Jahren fehlen 240.000 Fachkräfte

Dass der Fachkräftemangel zu einem ernsthaften wirtschaftlichen Problem wird, hat auch die Bundesregierung erkannt. Um dem entgegenzusteuern, wurde Anfang September die sogenannte „Fachkräftestrategie“ präsentiert. Die darin enthaltenen Zahlen und Prognosen sind ernüchternd.  2026 rechnet die Regierung bundesweit mit einem Fachkräftemangel von etwa 240.000 Stellen. Statt den Kopf in den Sand zu stecken und sich die Prophezeiung selbst erfüllen zu lassen, setzen viele Unternehmen deshalb auf neue Wege, um Fachkräfte zu akquirieren.

Mit Kreativität gegen den Mangel

„Die Region hat verschiedene Ansätze: Wir arbeiten zum Beispiel besonders eng mit unseren französischen Partnern zusammen, um hier einen entsprechenden Fachkräfteaustausch zu ermöglichen“, erklärt Jochen Ehlgötz, Geschäftsführer der TechnologieRegion Karlsruhe GmBH. „Außerdem gibt es das ‚Welcome Center‘ für die Gewinnung internationaler Fachkräfte. Hier arbeiten wir eng mit den Auslandshandelskammern zusammen.“ Das „Welcome Center“ beschreibt ein digitales Portal, auf dem sich die Region als attraktiver Arbeitsgeber präsentiert. Zudem gibt es die von der TechnologieRegion Karlsruhe ins Leben gerufene Fachkräfteallianz. „Das ist ein loser Zusammenschluss von all den Akteuren, die im Bereich von Arbeit, Wirtschaft, Fachkräften, Ausbildung und Weiterbildung hier in der Region Dinge einbringen“, erläutert Ehlgötz. Die Stadt Karlsruhe verfolgt andere Strategien: „Wir müssen überlegen, wie wir unsere Kontakte ins Ausland nutzen, um hier Interessenten anzuwerben. Da könnte ich mir eine Aktivität in Indien vorstellen. Der südbadische Bereich hat das im Bereich des Lebensmittelhandwerks auch schon gemacht“, erklärt der Karlsruher Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup.

Kein Job, sondern Berufung

Agnes Obert kämpft auf ihre eigene Art gegen den Fachkräftemangel. Die Krankenschwester ist seit 1984 am Städtischen Klinikum in Karlsruhe. „Ich gehöre quasi schon zum Inventar“, erklärt sie schmunzelnd. Sie liebt ihren Beruf. Die Begeisterung möchte sie nach außen tragen. „Vielleicht ermutigt das andere, auch in die Pflege zu gehen.“ Was macht den Beruf der Pflegekraft so attraktiv? „Die Abwechslung und den Kontakt mit den Menschen. Jeder Tag ist anders. Ich habe viel Kontakt mit anderen Berufsgruppen, mit denen ich mich jeden Tag absprechen muss“, schwärmt Obert. Verändern möchte sie trotz ihrer Liebe zu ihrem Beruf etwas: Die Pflege müsse sich wieder aufs Pflegen konzentrieren. In den meisten europäischen Ländern kümmern sich Pflegehilfskräfte um Arbeiten wie die Essensausgabe und das Waschen der Patienten. Ein solches Konzept in Deutschland würde die Arbeit der Pflegekraft aufwerten und attraktiver machen, erklärt Obert.

Politik muss handeln

Eigeninitiative hin oder her – auch die Politik steht in der Pflicht ihren Teil zum Gelingen beitragen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, um Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, sollten liberalisiert werden, fordert beispielsweise Jochen Ehlgötz. Außerdem soll es wieder erstrebenswerter sein, vor einer Klasse zu stehen und den Satz des Pythagoras zu lehren. „Man muss den Lehrerberuf attraktiver machen. Das hat vor allem etwas mit der Bezahlung zu tun. Für den frühkindlichen Bereich gilt das genauso. Aber auch die Arbeitsbedingungen in den Schulen müssen so sein, dass junge Menschen dort ihre Vorstellungen von Bildung und Erziehung umsetzen können“, hebt der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) Udo Beckmann hervor.

41 Seiten Fachkräftestrategie der Bundesregierung und die Kreativität der Unternehmen können den Trend des Fachkräftemangels stoppen. Nur so kann es mit etwas Anstrengungen auch im Jahr 2026 noch heißen: „Philipp sitzt im Büro und leitet ein wichtiges Meeting.“

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