In unserer Herzensstunde stellen wir Herzensprojekte und gemeinnützige Vereine aus der Region vor. "Unten im Tal" – so beschreibt Steffen Dix das Gelände, auf dem sich die Musikfabrik Neurod befindet. Zwischen einem Campingplatz, mehreren Gebäuden und einer stillgelegten Fabrik steht dort seit rund fünf Jahren eine Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete und sozial benachteiligte Familien. Der Ort gilt als sozialer Brennpunkt – viele Kinder leben hier, oft ohne geregelte Tagesstruktur, mit wenig Betreuung und unter schwierigen Bedingungen. Und dennoch sagt Dix: „Es ist ein schönes Gebiet. Kein Grund, Angst zu haben.“
Der Verein rund um Steffen Dix engagiert sich bereits seit 2016 integrativ – besonders im Bereich der Flüchtlingshilfe. Die Musikfabrik ist dabei das zentrale Projekt: Ein Ort, an dem Kinder unabhängig von Herkunft oder sozialem Status Musik erleben und mitgestalten können. Viele der Kinder stoßen zufällig dazu – sie hören etwas, schauen durch eine Scheibe, kommen näher. „Dann lädt man sie ein: Komm her, mach mit. Und dann holen sie ihre Freundin oder die kleine Schwester. Irgendwann trauen sie sich.“
Die Musikfabrik ist ein geschützter Raum, in dem sich Kinder willkommen fühlen dürfen. Sie dürfen neugierig sein, sich ausprobieren – ohne Druck. Manche machen sofort mit, andere brauchen Zeit. „Die Kinder sollen sich erst mal wohlfühlen“, sagt Dix. Neben musikalischer Förderung gibt es stille Ecken, Aufenthaltsräume und vor allem: Aufmerksamkeit und Struktur.
Die Kinder, die zur Musikfabrik kommen, stammen aus verschiedensten Ländern – Somalia, Kamerun, Afghanistan, Osteuropa – aber auch aus Deutschland. Häufig leben sie in beengten Verhältnissen, was zu sozialen Spannungen führen kann. „Es ist die ganz übliche Problematik – nur eben konzentriert.“ Das Projekt schafft hier einen Raum der Begegnung – über kulturelle, sprachliche und soziale Grenzen hinweg.
Als Musiker weiß Steffen Dix um die Kraft von Musik: „Wenn man zusammen trommelt, zusammen singt – auch wenn man die Töne nicht trifft – entsteht ein Gemeinschaftserlebnis.“ Die Kinder lernen, sich auszudrücken, sammeln Selbstvertrauen, erarbeiten Texte und Lieder gemeinsam. Es geht um Rhythmus, Stimme und Zusammenhalt – aber auch ganz konkret um Sprachförderung.
Die Reaktionen der Kinder sind herzerwärmend. „Da entsteht etwas – auch in den Beziehungen.“ Ein besonders schönes Beispiel ist die Lehrerin Eva, die anfangs skeptisch war, im Projekt mitzuarbeiten. Ein kleiner Trick – der Ausblick auf einen Ausflug nach Straßburg – brachte sie zum Reinschnuppern. „Dann hat sie die Kinder gesehen – und dann war es vorbei. Sie war dabei.“
Dix beschreibt lebendig, wie Kinder sich vorsichtig annähern, erst mit Abstand schauen, dann Freunde holen, irgendwann mitmachen. „Das wärmt sich so richtig auf. Das ist ganz interessant.“ Und: Wer regelmäßig kommt, entwickelt sich weiter – musikalisch, sozial, sprachlich. „Manche Kinder singen irgendwann Texte richtig mit – und werden zu Vorbildern für andere.“
Die Räumlichkeiten stellt die Gemeinde zur Verfügung – doch Instrumente, professionelle Musiker und Material kosten Geld. Über 2.000 Euro wurden bereits für Keyboards und Trommeln investiert. „Musiker, die von ihrer Arbeit leben, müssen auch bezahlt werden.“
Deshalb läuft eine Crowdfunding-Kampagne über betterplace, um die Arbeit langfristig abzusichern. Dix wünscht sich vor allem Sicherheit: „Dass wir in einem halben Jahr noch wissen: wir können weitermachen.“ Darüber hinaus sucht er Menschen, die mithelfen: als Musikpädagogen, Assistenzkräfte oder einfach als engagierte Unterstützer.
Besonders viele Kinder äußern den Wunsch, Gitarre zu lernen – aber Unterrichtskosten von rund 100 Euro im Monat sind für viele Familien unerreichbar. „Das ist weit jenseits dessen, was man vom Staat bekommt. Von dem Geld kann man sich noch nicht mal Schuhe kaufen.“ Die Musikfabrik will hier gezielt helfen – mit Einzelunterricht für besonders talentierte Kinder, wenn möglich.
Die Resonanz aus der Umgebung ist gemischt. Viele finden die Idee großartig – aber wenn es darum geht, eigene Kinder vorbeizuschicken, kommen Skepsis und Ängste. „Es ist angstbehaftet. Es liegt im Tal, separat. Das verdrängt man gern.“ Doch Dix ist überzeugt: „Man muss hingehen. Dann entsteht was.“
Langfristig möchte das Team ein Ensemble oder einen Chor aufbauen. Es gibt bereits viele Materialien, von Playbacks bis Blasorchester-Begleitungen – sogar Stücke aus dem Max-Raabe-Repertoire. Die deutschen Texte helfen beim Spracherwerb und bieten kreative Zugänge: „Ich gehe durch den Park an einem Donnerstag – es duftet nach Gras. Manche Kinder kapieren den Witz, manche nicht. Aber sie lernen.“
Ziel ist, dass zwei oder drei Kinder als Vorbilder fungieren – damit auch andere leichter mitmachen. Es geht um Teilhabe, Entwicklung, Zugehörigkeit – und darum, dass jedes Kind eine Stimme bekommt.