Wir haben Schmetterlinge im Bauch, wenn wir verliebt sind. Ein flaues Gefühl im Magen, wenn wir uns unwohl fühlen. Stress schlägt sich bei uns auf Magen und Darm und es kann schon mal passieren, dass sich jemand vor Angst in die Hose macht. Redewendungen wie diese zeigen einen Zusammenhang auf, der erst in den letzten Jahren in den Fokus der Forschung gerückt ist: die Verbindung zwischen dem Gehirn und dem enterischen Nervensystem (ENS).
Dieses Nervengeflecht in unserem Magen-Darm-Trakt ist ähnlich aufgebaut wie unser Kopfgehirn und wird deshalb analog auch als Bauchhirn bezeichnet. Es reagiert auf Emotionen und bei Stress durchaus mit Magen-Darm-Problemen. Forscher haben sogar herausgefunden, dass Depressionen, Alzheimer oder Parkinson zuerst zu Nervenschädigungen im Bauchhirn führen, bevor sie den Kopf betreffen.
Die Erkenntnis ist nicht neu: Stress schlägt sich auf Magen und Darm. Bauchkrämpfe, Blähungen, Aufstoßen, Übelkeit und sogar Durchfall kennen wir als Folge von starkem Stress – einen Zusammenhang zwischen Darm und Psyche wird nahezu niemand leugnen.
Kopf und Verdauungstrakt haben einen direkten Draht zueinander, die sogenannte Darm-Hirn-Achse: Der Vagusnerv verbindet den Bauch mit dem limbischen System und folglich mit unserer Emotionsschaltzentrale im Gehirn. Aber nicht nur das: In unserem Bauch versteckt sich ein komplexes Netz aus Nervenzellen: das enterische Nervensystem, auch Bauchhirn genannt.
Dieses durchgehende Netzwerk zieht sich von der Speiseröhre bis zum Darmausgang und umfasst mehr als 100 Millionen Nervenzellen. Damit ist es sogar größer als das Nervensystem im Rückenmark. Sowohl das Nervensystem in unserem Kopf als auch das Bauchhirn bestehen aus denselben Zelltypen und kommunizieren mit den gleichen Botenstoffen. Neben Dopamin und Amino-Buttersäure gehört dazu zum Beispiel auch das bekannte Serotonin: Während es im Kopf für Wohlbefinden sorgt, ist es im Bauchhirn unter anderem für die Regulierung der Darmtätigkeit und des Immunsystems zuständig.
Doch auch wenn beide „Gehirne“ unabhängig voneinander arbeiten – eine Verbindung besteht immer. Über den Vagusnerv tauschen beide Informationen miteinander aus, wobei 90 Prozent von unten nach oben und nur zehn Prozent vom Kopf zum Bauch gehen. Was wir in wichtigen Momenten gut spüren können: Denn auch, wenn wir unsere Entscheidungen mit dem Kopf treffen, unser Bauchgefühl schwingt immer mit. Und ganz instinktiv raten wir auch anderen, auf ihren Bauch zu hören. Wir wissen, dass unser Bauchhirn eine Situation oft besser beurteilen kann als der Kopf alleine.
Versuche mit Ratten zeigen: Durchtrennt man die Nervenautobahn zwischen Kopf und Gehirn und unterbindet somit die Kommunikation zwischen den beiden, dann verändert sich das Verhalten. Die Tiere verlieren ihr natürliches Bauchgefühl. Man kann zwar nicht direkt vom Tier auf den Menschen schließen, aber der Zusammenhang liegt nahe. Auffällig ist zum Beispiel auch, dass Menschen mit Reizdarmsymptom häufig unter Angstzuständen oder Depressionen leiden.
Das Mikrobiom im Darm scheint ebenso eine Rolle zu spielen. Wissenschaftler, die dieses bei Ratten ausgetauscht haben, konnten feststellen, dass sich deren Persönlichkeit veränderte. Welche Rolle die rund 160 verschiedenen Bakterienarten, die unseren Darm besiedeln, bei der Kommunikation zwischen Bauchhirn und Psyche wirklich spielen und wie sie diese beeinflussen, ist Gegenstand zahlreicher Forschungen.
Denkt man die Bauchhirn-Kopfhirn-Achse aber zu Ende, dann bedeutet das, dass unsere Ernährung – die sozusagen die „Haltungsbedingungen“ unseres Mikrobioms widerspiegelt – noch mehr Auswirkungen auf unser Wohlbefinden, unsere Stimmungen und unsere Gesundheit hat, als wir bisher wissen.
Das Bauchhirn, das so eng mit der Psyche verwandt zu sein scheint, ist von der Evolution her betrachtet deutlich vor dem Kopfgehirn entstanden. Und je mehr Wissenschaftler darüber herausfinden, desto wahrscheinlicher erscheint eine vergleichsweise neue Erkenntnis: Krankheiten wie Parkinson, Depression oder Angststörungen, deren Ausgangspunkt auf den ersten Blick im Kopf zu sein scheint, könnten ihren tatsächlichen Ursprung im Darm haben und auf eine Störung im Bauchhirn zurückgehen.
Bei Parkinsonpatienten zum Beispiel haben Forscher festgestellt, dass sie im Bauchhirn nicht nur die gleichen Nervenschädigungen wie im Gehirn aufweisen, sondern diese dort sogar deutlich früher auftreten. Viele der Patienten leiden schon Jahre vor Ausbruch der Krankheit unter Magen-Darm-Beschwerden. Eine Erkenntnis, die zu ganz neuen Früherkennungs- und Behandlungsmöglichkeiten führen könnte.